Carola Gold-Preisverleihung 2015

"Preise ... ich steh nicht so drauf ..."

Der erste Tag des Kongresses Armut und Gesundheit ist fast vorüber. In der Lounge direkt neben dem Lichthof hat sich ein Kreis von etwa 80 Menschen eingefunden und auf bequemen Sofas, auf Hockern und hinter Stehtischen Platz genommen. Die gedämpften Gespräche verstummen, sobald die ersten Klänge von J.S. Bachs Suite Nr. 1 für Cello ertönen. Martin Klenk leitet mit seinem Cello die mittlerweile 3. Carola Gold-Preisverleihung ein.

Stefan Pospiech, Geschäftsführer von Gesundheit Berlin-Brandenburg, und Claus Bölicke, Leiter der Abteilung Gesundheit, Alter und Behinderung des AWO Bundesverbandes, begrüßen die Anwesenden mit einigen einführenden Worten, vor allem zur Namensgeberin des Preises, Carola Gold, und ihrem Wirken. Beide jedoch vermeiden es, den diesjährigen Preisträger und die Preisträgerin zu benennen. Sie überlassen diese Ehre den Laudatorinnen Prof. Theda Borde und Prof. Ilona Kickbusch.

Dr. Jenny De la Torre Castro – Organisatorin, Visionärin, Ärztin und Mensch

Theda Borde, die erste Laudatorin, stellt Jenny De la Torre Castro als erste Preisträgerin mit den folgenden Worten vor: „Jenny ist – wie Carola selbst – eine der Persönlichkeiten, die nicht nur beim Kongress eine wesentliche Rolle spielt, sondern vor allem in ihrer praktischen Arbeit.“

Bekannt und geehrt worden ist Jenny De la Torre Castro vor allem in ihrer Rolle als Begleiterin von obdachlosen Menschen, welche sie seit Jahrzehnten medizinisch betreut. Wohnungslose sind nach wie vor extrem unterversorgt. Es herrschen enorme Zugangsbarrieren, Ausgrenzung und Stigmatisierung. „Man schaut weg“, so Prof. Borde und fährt fort: „Sie schaut hin und handelt! Jenny ist mittendrin, als Organisatorin, Visionärin, Ärztin und Mensch.“ Theda Borde berichtet, wie sie gemeinsam mit Studierenden der Alice Salomon Hochschule vor einigen Jahren die Praxis von Jenny De la Torre Castro besuchte und wie „Jenny“ ihnen dort begegnete: „Sie sprach mit Begeisterung über ihre Arbeit, mit Präzision als Ärztin und mit Würde von den Obdachlosen“ und löste damit auf dem Rückweg unter den Studierenden Diskussionen darüber aus, was Sozialarbeit sein sollte und wie sie umgesetzt werden kann.

Wer ist Jenny De la Torre Castro? Die Antworten darauf sind vielfältig: Eine „immer freundliche, warmherzige Frau“, die viele Brücken in ihrem Leben geschlagen hat, zwischen Peru und Deutschland, der einstigen BRD und DDR, zwischen West- und Ostberlin. Die Potentiale der Migration würden an ihr sichtbar, so Theda Borde, und umreißt Jenny De la Torre Castros Lebenslauf: in Peru geboren, 1976 zum Medizinstudium nach Leipzig an die Karl-Marx-Universität, 1990 summa cum laude an der Berliner Charité promoviert und ab 1995 die Ärztin für Obdachlose am Ostbahnhof. Im Oktober 2003 wurde ihre Vollzeitstelle bei der MUT GmbH auf 25 Wochenstunden reduziert, was Jenny De la Torre Castro dazu bewog zu kündigen. Dies war zugleich der Beginn der Jenny De la Torre-Stiftung, die die niedrigschwellige Versorgung von obdachlosen Menschen umsetzt.

1995 initiierte sie außerdem – gemeinsam mit Gerhard Trabert, Ellis Huber und Studierenden der Technischen Universität Berlin – den ersten Kongress Armut und Gesundheit mit außerordentlicher Energie. Damit ist sie eine der entscheidenden Protagonistinnen des Kongresses. Ihre Rolle hierbei ist eine besondere, denn sie öffnete das Mikrofon für die von Armut Betroffenen. Etwas mehr von diesem Geist wünscht sich Theda Borde auch für zukünftige Kongresse.

Daraufhin wird die „ganz besonders würdige Preisträgerin“, wie Theda Borde sie abschließend nennt, nach vorn gebeten. Eine kleine, freundliche Frau tritt ans Mikrofon und konstatiert „Ich bin unglaublich gerührt“. Dass sie alles vergessen habe, was sie hatte sagen wollen, stellt sie fest, und dass es für sie „eine große Ehre“ sei, mit diesem Preis ausgezeichnet zu werden.

Obwohl... „Preise – muss ich ehrlich sagen – ich steh nicht so drauf...“.

Klaus-Peter Stender – ein Hamburger tanzt den Kommunaltango

Nachdem sich der Beifall für Jenny De la Torre Castro gelegt und Martin Klenk die zweite Cello-Einlage gegeben hat, betritt Prof. Ilona Kickbusch die Bühne und stellt Klaus-Peter Stender als zweiten Preisträger des Abends vor. Sie solle ihn nicht zu viel loben, habe man ihr in Vorbereitung auf die heutige Rede gesagt. Aber, „was tut man denn sonst in einer Laudatio?“

Während der Vorbereitung beim Blättern in den Schriften Klaus-Peter Stenders habe ein Wort ihre besondere Aufmerksamkeit geweckt: Das Wort „Kommunaltango“. Ilona Kickbusch hält inne und lässt eine bedeutungsvolle Stille folgen, die durch Martin Klenk mit einer Kurzeinlage aufgefüllt wird (noch während Theda Borde die Laudatio für Jenny De la Torre Castro hielt, hatte Ilona Kickbusch konspirative Gespräche mit dem Cellisten geführt – nun erhellt sich der Grund für selbige). Diesen Tango tanze Klaus-Peter Stender seit mittlerweile 25 Jahren. Dabei sei dieses Bild beinahe ein Widerspruch in sich. Schließlich ist Klaus-Peter Stender Hamburger. Hamburger und Leidenschaft?

Tango??
Tango!

Ilona Kickbusch zeigt die Parallelen zwischen dem lateinamerikanischen und Klaus-Peter Stenders Tanz auf: „Leidenschaft für die Sache, verbunden mit Präzision und … Tango tanzt man nicht allein!“ Außerdem erscheine der Tanz – von außen gesehen – als ein Kunstwerk. Ebenso gestalte sich auch Herr Stenders tägliche Arbeit, was Kooperationsprozesse nach innen und nach außen betreffe, als „Gesamtkunstwerk“. Dies spiegelt sich in seinem Wirken im Rahmen des Gesunden Städte-Netzwerkes ebenso wie im 2010 initiierten Pakt für Prävention, den er wesentlich mitgestaltet. Darin sind insgesamt 110 Organisationen zusammengeschlossen. „Tanzen Sie mal mit all denen!“ Das Selbstverständnis der Zusammenarbeit wird darin definiert als eines der – „hören Sie sich das an!“– breiten Verantwortungspartnerschaft. Begeisterung schwingt in Ilona Kickbuschs Stimme mit. Sie formuliert den Wunsch, dass der Preisträger viel Zeit haben möge, um sein Wissen über solch fruchtbare Kooperationen zu teilen und weiterzugeben. Ilona Kickbusch beschließt ihre Rede mit einem Ausspruch Nerudas, der von der „brennenden Geduld“ spricht. Sie wendet sich nun direkt an Klaus-Peter Stender und konstatiert: „Die hast Du, ganz hamburgerisch!“

Als Klaus-Peter Stender nach vorn kommt, wendet er sich zunächst an die Preisträgerin Jenny De la Torre Castro und stellt fest: „Ich bin das totale Gegenprogramm zu Ihnen! Denn… Das wollen wir mal nicht vergessen: ich arbeite in einer Behörde! Unsere Arbeit ist keineswegs preiswürdig! Und als Hamburger nehme ich eigentlich gar keinen Preis in die Hand!“ Ein Lachen geht durch das Publikum für diese deutlich bekundete Distanzierung, die er auch während der Überreichung von Urkunde und Blumen beibehält: „Ich und Tango…. Mit diesem Bild fremdel ich total!“ Doch schließlich gelingt es ihm, sich in seine Rolle als Träger des diesjährigen Carola Gold-Preises einzufinden: „Ich fasse es auf als ein Symbol. Niemand baut ein Haus allein. Und ich habe den heutigen Preis in Vertretung für viele Andere entgegengenommen.“

Hintergrund

Die Carola Gold-Preisverleihung stand insofern ganz unter dem Kongressmotto 2015 "Gesundheit gemeinsam verantworten". Die Reaktionen der Preisträgerin und des Preisträgers zeigen: keine Einzeltaten führen in diesem Feld zu Erfolgen, es sind die Bewegungen einer Gemeinschaft. Diese müssen jedoch auch initiiert werden. Dazu braucht es eine ordentliche Portion Mut, Eigeninitiative, aber auch Begeisterungsfähigkeit sowie Kooperationsenergie, um die potenzielle Unterstützung von außen zu bündeln.

Seit 2012 wird der Carola Gold-Preis an Menschen verliehen, die sich in herausragender Weise für die Verbesserung von gesundheitlicher Chancengleichheit einsetzen. Preisträgerinnen und -träger der vergangenen Jahre warenEva Göttlein und Heinz Hilgers (im Jahr 2013),Ingeborg Simon und Dr. Andreas Mielck (im Jahr 2014). Der Carola Gold-Preis wurde gemeinsam vom Vorstand von Gesundheit Berlin-Brandenburg und dem Steuerungskreis des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit ins Leben gerufen. Ausgelobt wird der Preis von den Landesvereinigungen für Gesundheit sowie dem AWO Bundesverband.
Carola Gold war die langjährige Geschäftsführerin von Gesundheit Berlin-Brandenburg und Leiterin der Geschäftsstelle des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit. Sie setzte sich maßgeblich für eine Verbesserung der gesundheitlichen Situation von Menschen in schwieriger sozialer Lage ein. Mit Mut, Durchsetzungsvermögen und auch Humor gelang es ihr, Netzwerke zu knüpfen, Themen zur soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung zu setzen und voranzutreiben.

 

Fotos: André Wagenzik & Icons: Do Ra / fotolia.com